VERSTÖSSE GEGEN DIE PRODUKTNEUTRALITÄT - WIE BIETER RICHTIG REAGIEREN
Ein entscheidender Grundsatz bei Ausschreibungen ist die Produktneutralität, die sicherstellen soll, dass alle potenziellen Anbieter gleiche Chancen haben, ihre Produkte oder Dienstleistungen anzubieten, ohne dabei durch Voreingenommenheit benachteiligt zu werden. Die Produktneutralität ist ein Eckpfeiler der Transparenz, Integrität und Gleichberechtigung im Beschaffungsprozess. Dennoch sind immer wieder Ausschreibungen, die den Erwerb von bestimmten Leistungen zum Ziel haben, gefüllt mit Verstößen gegen die Produktneutralität.
Leider gibt es immer wieder Fälle, in denen gegen die Produktneutralität bei Ausschreibungen verstoßen wird. Diese Verstöße können schwerwiegende Konsequenzen haben, wie etwa unfairen Wettbewerb, Benachteiligung bestimmter Anbieter oder sogar Korruption. Vergaberechtsanwälte berichten, dass in manchen Branchen bis zu 90 % aller Ausschreibungen offene oder verdeckte Alleinstellungsmerkmale beinhalten.
Wie sich erklären lässt, dass Ausschreibungen immer wieder gegen die Produktneutralität verstoßen und was Sie als Bieter dagegen tun können, erfahren Sie in diesem Beitrag aus unserem DTAD Magazin.
Viele Vergabestellen verlassen sich in der Zusammenstellung der Vergabeunterlagen auf die Zuarbeiten der Fachabteilungen, für die sie die jeweiligen Bedarfe ausschreiben. Die Fachabteilungen haben in der Regel bessere Marktkenntnisse - und teilweise eine Präferenz für ein bestimmtes Produkt oder einen bestimmten Hersteller.
Bei der inhaltlichen Zusammenstellung der Unterlagen kann es daher vorkommen, dass bestimmte Produktmerkmale, die nur ein Anbieter erfüllt, bewusst oder unbewusst in das Leistungsverzeichnis fließen. Die Produktneutralität ist damit gefährdet.
Was ist Produktneutralität? - eine Definition
Unter Produktneutralität versteht man im Vergaberecht den Grundsatz, dass im Leistungsverzeichnis einer Ausschreibung keine Markennamen oder Bezeichnungen verwendet werden dürfen, die auf spezifische Erzeugnisse bestimmter Hersteller bzw. Anbieter hinweisen. Der Grundsatz der Produktneutralität soll verhindern, dass einzelne Bieter bevorzugt werden.
Bezeichnungen bestimmter Produkte oder Verfahren dürfen nur dann ausnahmsweise benutzt werden, wenn diese mit dem Zusatz „oder gleichwertiger Art“ ergänzt werden und eine Beschreibung mit hinreichend genauen, allgemeinverständlichen Bezeichnungen nicht möglich ist.
Handelt es sich bei der geplanten Beschaffung allerdings um Erzeugnisse oder Verfahren, welche ergänzend zu bereits vorhandenen Produkten ausgeschrieben werden und zudem unterschiedliche Merkmale zu einem unverhältnismäßigen Aufwand führen würden, so kann der Zusatz „oder gleichwertiger Art“ entfallen.
Diese Ausnahme kann beispielsweise dann eintreten, wenn im Bereich der EDV-Technik durch die Beschaffung von Produkten unterschiedlicher Marken ein unverhältnismäßiger Aufwand in Form von Mitarbeiterschulungen o. ä. entstehen würde. Es ist dann stets eine hinreichende Begründung zu liefern.
Verstoß gegen die Produktneutralität - eine Praxis-Beispiel aus der Medizinbranche
Laut Leistungsbeschreibung „muss die Diagonalgröße des Bildschirms des OP-Geräts mindestens 28 Zoll betragen. OP-Geräte mit kleineren Bildschirmdiagonalen werden [...] von der Wertung ausgeschlossen.“
Was die Vergabestelle vielleicht nicht wusste: Es gab zu der Zeit der Ausschreibung nur einen Hersteller, der OP-Geräte mit 28-Zoll-Monitoren herstellte. Folglich reduzierte sich der Wettbewerb durch die Verletzung der Produktneutralität auf einen Anbieter bzw. führte dazu, dass es keinen Wettbewerb mehr gab. Die gesamte Ausschreibung wurde hinfällig.
In Ausnahmefällen ist die Vergabestelle gem. §14 Abs.4 Nr.2 VgV zwar berechtigt, sich für einen Anbieter zu entscheiden, muss dies aber klar dokumentieren und begründen. Eine Ausschreibung darf in diesem Fall nicht erfolgen. Im Umkehrschluss bedeutet dies für Bieter: Wenn es zu einer Ausschreibung kommt, haben Sie einen Anspruch darauf, dass der Grundsatz der Produktneutralität eingehalten wird.
Wie lassen sich im Praxis-Beispiel die Rechte der Bieter einfordern?
Zunächst wird die Vergabestelle in einer Bieterfrage über den Sachverhalt aufgeklärt. Vielleicht weiß die Vergabestelle nicht, dass sie einen Vergaberechtsverstoß begangen hat und ergreift die Chance, den Verstoß zu heilen.
Die Formulierung in der Bieterfrage kann wie folgt lauten:
„[...] in Absatz 5.3.1 auf Seite 7 bestimmen Sie als Ausschlusskriterium eine 28-Zoll-Mindestgröße der Bildschirmdiagonale. Bitte teilen Sie uns mit, welcher sachliche Grund dieses Ausschlusskriterium zwingend erfordert. An dieser Stelle möchten wir darauf hinweisen, dass uns nur ein Hersteller bekannt ist, der dieses Kriterium erfüllen kann. Das verletzt das Gebot der Produktneutralität gem. § 31 Abs. 6 VgV. (bzw. im Unterschwellenbereich §23 Abs. 5 UVgO, bei Bau-Vergabeverfahren §7 Abs. 2 VOB/A-EU bzw. im Unterschwellenbereich Bau VOB/A 1. Abschnitt §7 Abs. 2) Wir bitten Sie, diesen Vergaberechtsverletzungen abzuhelfen.“
Im Rahmen der darauffolgenden Bieterkommunikation kann eine einlenkende Antwort erwartet werden, da der Sachverhalt eindeutig ist. Des Öfteren weichen Vergabestellen diese sogenannten Muss-Kriterien (Ausschlusskriterien) dann in Soll-Kriterien (Bewertungskriterien) auf, d. h. es gibt für den 28-Zoll-Monitor dann Zusatzpunkte bei der Qualitätsbewertung. Hersteller mit größeren oder kleineren Bildschirmen haben so die Chance, mit einem besseren Preis oder andere Qualitätsparameter zu punkten und die Ausschreibung zu gewinnen.
Sollte die Vergabestelle wider Erwarten nicht auf die Argumentation eingehen, gibt es für Bieter das Mittel der Rüge. Damit behalten Sie sich rechtliche Schritte vor und erhöhen den Druck auf die Vergabestelle:. Denn die Rüge dient dazu, der Vergabestelle die Beseitigung des Vergaberechtsverstoßes zu ermöglich und damit ein Nachprüfungsverfahren zu vermeiden.
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