E-VERGABE: NUTZUNG EINES FREMDEN BENUTZERKONTOS IST MÖGLICH
Öffentlichen Auftraggebern steht kein „Ausschluss-Erfindungsrecht“ zu. Die im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen und den Vergabeverordnungen vorgesehenen Ausschlussgründe sind abschließend. Ohne ausdrückliche gesetzliche Grundlage ist es Auftraggebern daher verwehrt, weitere Ausschlussgründe zu schaffen. Es ist allein dem Gesetzgeber vorbehalten festzulegen, welche Mängel eines Angebotes mit der schärfsten Sanktion im Vergabeverfahren, dem Angebotsausschluss, geahndet werden.
Das gilt auch für den Fall, dass der Auftraggeber zusätzliche Anforderungen an die Übermittlung des Angebotes festlegt. Wird das Angebot eines Bieters entgegen den Vergabeunterlagen nicht von dessen eigenem Benutzerkonto oder des von ihm dazu Bevollmächtigten hochgeladen, verstößt das zwar gegen die vom Auftraggeber konkret aufgestellten Sicherheitsvorgaben. Ein solcher Verstoß stellt aber keinen zwingenden Ausschlussgrund dar. Das hat das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf im Beschluss vom 08.07.2020 (Verg 6/20) entschieden.
Der Fall
In dem konkreten Fall schrieb die Bundesagentur für Arbeit einen Rahmenvertrag über die Konzeption und Durchführung einer Berufseinstiegsbegleitung für drei Jahre im offenen Verfahren im Wege der E-Vergabe aus. Die Leistungen sollten in Nordrhein-Westfalen erbracht werden, aufgeteilt in 49 Regionallose. Die Angebote durften ausschließlich in Textform mit der auf der e-Vergabe-Plattform des Bundes bereitgestellten Software („AnA-Web“) übermittelt werden. Angebote, die auf anderem Wege als über die Plattform, beispielsweise per Post, E-Mail etc. zugestellt werden, wurden ausgeschlossen. Die Vergabeunterlagen sahen weiter vor, dass der Bieter bzw. – im Falle einer Bietergemeinschaft – der Bevollmächtigte das Angebot über ein Benutzerkonto der Plattform hochzuladen hatte, das auf ihn registriert war.
Der Bevollmächtigte einer aus zwei Unternehmen bestehenden Bietergemeinschaft ließ das Angebot der Bietergemeinschaft von einer Mitarbeiterin über das Benutzerkonto seiner Muttergesellschaft hochladen. Zunächst teilte ihm die Bundesagentur mit, dass das Angebot den Zuschlag erhalten solle. Eine Woche später wurde das Angebot jedoch von der Wertung ausgeschlossen, da es nicht form- und fristgerecht eingegangen sei. Es sei nicht vom Benutzerkonto des Bevollmächtigten der Bietergemeinschaft hochgeladen worden. Und die Muttergesellschaft sei kein Mitglied der Bietergemeinschaft.
Den Ausschluss ihres Angebotes rügte die Bietergemeinschaft als vergaberechtswidrig. Das Angebot sei in Übereinstimmung mit den Vorgaben der Vergabeunterlagen durch die Mitarbeiterin hochgeladen worden, die explizit für die Angebotsabgabe als Ansprechpartnerin des Bevollmächtigten der Bietergemeinschaft benannt worden sei. Die Bundesagentur half der Rüge nicht ab, die Bietergemeinschaft stellte daraufhin einen Nachprüfungsantrag. Die Vergabekammer des Bundes wies den Nachprüfungsantrag zurück (Beschluss v. 31.01.2020 – VK 2-102/19): Der Antrag sei unbegründet, weil das Angebot nicht formgerecht eingegangen sei.
Gegen den Beschluss der Vergabekammer wandte sich die Bietergemeinschaft mit ihrer sofortigen Beschwerde. Die Bundesagentur habe innerhalb des rechtlich zulässigen Rahmens keine weitergehenden Anforderungen an die Übermittlung der Angebote gestellt. Andere als die in § 53 der Vergabeverordnung (VgV) genannten Maßnahmen – elektronische Signatur, elektronisches Siegel – könne sie nicht verlangen.
Die Entscheidung
Die Beschwerde hatte Erfolg. Die Voraussetzungen für einen Angebotsausschluss nach § 57 VgV lägen nicht vor, entschied das OLG. Der Angebotsausschluss könne weder auf Form- oder Übermittlungsfehler noch auf Änderungen oder Ergänzungen an den Vergabeunterlagen gestützt werden. Das Angebot der Bietergemeinschaft genüge den Anforderungen des § 53 Abs. 1 VgV, wonach die Unternehmen Angebote in Textform mithilfe elektronischer Mittel gemäß § 10 VgV zu übermitteln haben. Die Bietergemeinschaft habe die von der Bundesagentur vorgegebene Software („AnA-Web“) bei der Versendung ihres Angebotes genutzt.
Ein Verstoß gegen Formvorgaben sei nicht feststellbar. Das Angebot der Bietergemeinschaft wahre die Textform. Eine elektronische Signatur oder ein elektronisches Siegel habe die Bundesagentur nicht verlangt. Aus dem Angebot ergebe sich ohne jeden Zweifel, dass die Mitarbeiterin das Angebot nicht im eigenen Namen, sondern als Vertreterin der Bevollmächtigten der Bietergemeinschaft abgegeben habe. Ob die Textform die Offenlegung der Vertretung und der Person des Vertretenen erfordere, müsse daher hier nicht abschließend entschieden werden, so das OLG. Denn das Angebot der Bietergemeinschaft erfülle diese Anforderungen jedenfalls.
Das Angebot der Bietergemeinschaft entspreche auch den Vorgaben in § 53 Abs. 1 VgV an die Übermittlung der Angebote. Dass das Angebot nicht vom eigenen Benutzerkonto des Bevollmächtigten hochgeladen worden sei, verstoße zwar gegen eine aufgrund von § 10 VgV aufgestellte Sicherheitsvorgabe des Auftraggebers. In diesem Verstoß liege aber nicht zugleich eine gemäß § 57 VgV zum zwingenden Angebotsausschluss führende Missachtung der Erfordernisse des § 53 Abs. 1 VgV. Hiernach haben Unternehmen ihre Angebote „mithilfe elektronischer Mittel gemäß § 10 VgV“ zu übermitteln. Weitergehende Erfordernisse an die Übermittlung der Angebote könnten der Vorschrift nicht entnommen werden.
Nach § 10 VgV legt der öffentliche Auftraggeber das Sicherheitsniveau für elektronische Mittel fest. Er kann zusätzliche Anforderungen an elektronische Mittel definieren, wenn die zu übermittelnden Daten erhöhte Anforderungen an die Sicherheit stellen. Dass die Angebote „gemäß § 10 VgV“ übermittelt werden müssten, bedeute jedoch nicht, betont das OLG, dass ein Verstoß gegen die vom Auftraggeber aufgestellten Sicherheitsanforderungen zwingend zugleich zum Angebotsausschluss führten. Gegen ein solches Verständnis spricht aus Sicht des Gerichts schon der abschließende Charakter der im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) und in der VgV geregelten Ausschlussgründe. Da es allein Sache des Gesetzgeber sei festzulegen, welche Angebotsmängel mit dem Angebotsausschlusses geahndet werden, könnten öffentliche Auftraggeber ohne ausdrückliche gesetzliche Grundlage nicht durch zusätzliche Anforderungen an die Übermittlung von Angeboten einen weiteren Ausschlussgrund schaffen. § 53 Abs. 1 VgV stelle eine solche gesetzliche Grundlage nicht zur Verfügung. Die Vorschrift verweise ausschließlich auf § 10 VgV und nicht zusätzlich auch auf die jeweiligen Festlegungen des öffentlichen Auftraggebers.
In § 10 VgV selbst fänden sich im Übrigen keine Vorgaben, auf welche Weise Bieter ihre Angebote zu übermitteln haben. Denn diese Vorschrift richte sich an öffentliche Auftraggeber, nicht an Bieter. Eine erweiternde Auslegung des Verweises von § 53 Abs. 1 VgV auf § 10 VgV, welche auch jeweils die konkreten Vorgaben des Auftraggebers für die Angebotsübermittlung einbeziehe, komme nicht in Betracht. Der Verordnungsgeber habe gerade darauf verzichtet, bei der Missachtung der Festlegungen zur Übermittlung von Angeboten einen eigenen Ausschlusstatbestand zu schaffen. Diese Entscheidung könne nicht dadurch umgangen werden, dass die Vorgaben des jeweiligen öffentlichen Auftraggebers in die Anforderungen an die Übermittlung des Angebots einbezogen werden. Das diene auch nicht dem Interesse eines möglichst umfassenden Wettbewerbs, dessen Ziel es sei, die Anzahl der Angebote nicht unnötig wegen vermeidbarer, nicht gravierender formaler Mängel zu reduzieren.
Die Bedeutung für Bieter
Die VK Bund hatte den Sachverhalt in der ersten Instanz noch anders beurteilt und den Ausschluss befürwortet. Sie begründete dies auch mit einer unzulässigen Abweichung von den Vergabeunterlagen und der durch die Nutzung eines fremden Benutzerkontos bestehenden Manipulationsgefahr.
Für das OLG tun beide Aspekte hier nichts zur Sache: Es sei nichts dafür ersichtlich, dass andere Bieter Kenntnis vom Angebot der Bietergemeinschaft erlangt haben könnten. Der Verstoß gegen die Sicherheitsvorgaben wiege hier auch nicht so schwer, dass eine Wertung des Angebotes nicht durchzuführen sei oder zu einer schwerwiegenden Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes geführt habe. Auch habe die Bietergemeinschaft keine abweichende Leistung angeboten, sondern ihr Angebot lediglich abweichend von den Vorgaben der Bundesagentur übermittelt. Dies führe nicht zu einer Diskrepanz zwischen Angebotsinhalt und Vergabeunterlagen.
Trotz dieses tendenziell großzügigen Verständnisses des OLG im konkreten Fall tun Bieter allgemein gut daran, den Auftraggeber bei seinen Vorgaben für Form, Übermittlung und Inhalt der Angebote beim Wort zu nehmen, um sich nicht dem Risiko eines Angebotsausschlusses auszusetzen.